¡Buen camino! – Von Santiago de Compostela bis ans Ende der Welt
Unterwegs auf dem Camino de Santiago
Was fasziniert Menschen daran, hunderte von Kilometer zu Fuss zurück zu legen, um dann irgendwann, in irgendeiner Stadt in Spanien, anzukommen? Was bedeutet es, mit Sack und Pack auf dem Camino de Santiago zu pilgern? Findet man dadurch zu sich selbst, oder gar zu Gott (sofern man an ihn glaubt)?
Ich hatte mir bis Frühling dieses Jahres nicht vorstellen können, irgendwann mal acht, manchmal gar neun Stunden am Tag, mit Gepäck auf dem Rücken durch Wald und Wiesen zu marschieren. Ich wusste zwar von «diesem Camino» und hatte hie und da von Bekannten gehört, die diesen Weg gegangen sind. Aber richtig interessiert hat mich das damals nicht. Ich wusste damals auch nicht, dass es mehrere Caminos gibt die nach Santiago de Compostela führen (hier mehr dazu).
Nachdem ich ein paar Wochen im Norden von Spanien mit meinem Backpack rumreiste, begegnete ich immer wieder Leuten, welche den Camino del Norte machten und mich mit ihren Geschichten beeindruckten. Ich habe sogar begonnen, mir ihre Erzählungen und Gedanken aufzuschreiben, weil ich diese so spannend und berührend fand. Darunter waren schöne Anekdoten aber auch Geschichten, die traurig waren und mich nachdenklich stimmten. Auffallend war, dass alle aus einer gewissen Intention heraus auf den Camino gingen. Ja es schien so, als suchten sie Antworten, Abstand oder neue Ideen für den weiteren Weg des Lebens. Nach einer Weile liess mich der Gedanken nicht los, es selbst auszuprobieren. Ich wollte vor allem eines: Erfahren weshalb Menschen auf diesen Camino gehen.
Da ich zur Hauptsaison (Juli/August) in Spanien war und aufgrund der Pandemie nicht alle Albergues geöffnet waren, entschied ich mich den sogenannten Camino de Finisterre zu machen – die Erweiterung bis ans Meer und ans Ende der Welt, wie Finisterre übersetzt heisst. Dieser ist weniger frequentiert wie beispielsweise der ursprüngliche und beliebteste Weg «Camino francés». Ich entschied zusätzlich einen Umweg nach Muxía zu gehen, um insgesamt über 100km zurückzulegen (das ist das Minimum an Kilometer, um das credencial del peregrino, d.h. die Pilgerurkunde zu erhalten). Ich habe die ganze Strecke von knapp 120km auf vier Tage aufgeteilt und die Albergues auch schon im vorhinein gebucht, um sicher zu gehen, dass ich einen Schlafplatz habe. Als ich auf dem Camino war, habe ich tatsächlich von Leuten gehört die die Nacht draussen verbringen mussten, da die Albergues schon voll besetzt waren. Für die ultimative Camino Erfahrung rate ich aber davon ab, die Albergues schon alle zu buchen, weil so spontan entschieden werden kann, wieviel man am Tag gehen möchte. 30km pro Tag waren rückblickend etwas viel, da ich am zweiten Tag mit sehr vielen Blasen zu kämpfen hatte und die darauffolgenden Tagen mit Schmerzen gehen musste.
Meine Erfahrung zum Camino
Ich bin (noch) keine Camino-Expertin, da ich bisher nur einzelne Tage bzw. Etappen gemacht habe und nicht über einen längeren Zeitraum auf dem Camino war. Aber dennoch habe ich etwas vom Camino-Zauber erleben dürfen, von dem mir so viele erzählt hatten. Ich wollte vor allem Geschichten hören und auch erleben, was durch meinen Kopf schiesst, was ich fühle, wenn ich tatsächlich auf dem Camino unterwegs bin.
Kilometerstein Jakobsweg
Was mir besonders gefallen hat war die grosse Verbundenheit und Unterstützung der Menschen, welche man auf seinem Weg trifft. Alleine ist man eigentlich nie – die meiste Zeit geht man mit anderen Peregrinos und auch wenn man manchmal zwei bis drei Stunden ohne jemanden an seiner Seite geht, trifft man immer wieder Einheimische die einem stets einen ¡buen camino! wünschen, die ein kurzes Schwätzchen halten oder einem einen Drink oder etwas kleines zu Essen anbieten. Unter den Caminantes herrscht ein grosses Zusammengehörigkeitsgefühl und man unterstützt einander, damit jeder an sein Ziel kommt. Als ich beispielsweise frühmorgens der letzten Etappe mit schmerzverzehrtem Gesicht in der Albergue sass und meine von Blasen übersäten Füsse behandelte, boten mir gleich mehrere Peregrinos Hilfe an und eine ältere Frau machte den Anschein, als dass sie für mich beten würde. Oder einmal als ich fast am Ende einer sehr schwierigen Etappe kaum mehr gehen konnte und mich mit meinem Wanderstock/Besenstil ganz langsam Richtung Ziel kämpfte, hielt ein alter Mann – ebenfalls mit Gehstock – an, um mich mit aufmunterten Worten daran zu erinnern, dass ich es bald geschafft habe. Das schöne dieser Bekanntschaften ist, dass Herkunft, Alter oder Sprache keine Rolle spielen. Irgendwie versteht man sich und das gemeinsame Ziel, bildet sogleich eine Art von Verbundenheit. In dieser kurzen Zeit in der ich den Camino ging, habe ich viele tolle Menschen kennengelernt. Zwei davon – eine Spanierin aus Sevilla in meinem Alter und eine Portugiesin, die vom Alter her meine Mutter sein könnte – habe ich sogar schon zu Hause besucht.
Abgesehen von den tollen Bekanntschaften auf dem Camino hat mich auch die «Einfachheit» fasziniert. Mit nur dem nötigsten im Gepäck wird losmarschiert und schnell wird einem auch bewusst, dass man zum Leben nicht viel braucht. Ja, man ist sogar froh, wenn man nichts Unnötiges mit sich rumschleppt. Man lernt wieder die kleinen und einfachen Dinge wertzuschätzen. Ich habe es genossen ohne Ablenkungen wie Soziale Medien und Grossstadtlärm durch die Gegend zu pilgern und hie und da mal stehen zu bleiben, um die Landschaft zu geniessen. Auch ein einfaches Bett in einem 20-Bett-Schlafsaal ist nach einem 30km Marsch ein Segen und ein Topf voller Linsen und Karotten erfüllt einem am Ende eines langen Tages mit viel Freude. Alles wird schnell auf das Wesentliche reduziert und bringt am Ende des Tages auch mehr Klarheit für sich selbst. Ob man das jetzt Selbstfindung nennt oder nicht, ist nicht wichtig. Der Camino gibt einem selbst Zeit und einen Raum eine Pause vom Alltag einzulegen, über sein Leben nachzudenken, zu reflektieren und neue Prioritäten zu setzen. Jeder so, wie er es möchte und braucht.
Die wichtigsten 5 Dinge für den Camino
Wie ich das selbst schmerzhaft erfahren musste, sind die Schuhe das absolut wichtigste auf dem Camino. Ich hatte zwar gute Trekking Schuhe mit welchen ich davor schon einige Wanderungen absolviert habe, aber sie waren mir etwas zu klein. Wenn man so viele Stunden pro Tag läuft kann es sein, dass die Füsse durch die erhöhte Durchblutung und Druck anschwellen. Falls du also vorhast den Camino zu gehen, solltest du unbedingt darauf achten, dass die Schuhe mindestens eine Daumenbreite Platz haben. Ganz vermeiden lassen sich Blasen aber nicht, und deshalb solltest du unbedingt ein paar gute Blasenpflaster einpacken. Mir wurde auch gesagt, dass die Füsse vor dem Gehen mit Vaseline eingerieben werden sollen.
Weiter sind gute Socken wichtig. Ich habe spezielle Wandersocken gekauft, die etwas dicker sind und keine Nähte haben und war damit auch zufrieden. Du solltest immer ein trockenes Paar zum wechseln dabei haben, wenn du merkst das sich Blasen zu bilden beginnen.
Dann kann man sich auch überlegen einen Stock mitzunehmen. Ich dachte zuerst, dass das nicht nötig sei und man damit nur bescheuert aussieht. Meine Freunde, die den Camino vor mir beendet haben, haben mir aber ihren Stock (was eigentlich nur ein Besenstil war) übergeben und ich muss sagen, dass ich schon am ersten Tag ziemlich froh um diesen war.
Absolut essenziell ist auch das Gewicht deines Rucksacks. Du solltest auf keinen Fall nicht zu viel Gepäck mitzunehmen. Ich weiss das klingt selbstverständlich, aber ich meine wirklich wenig Gepäck. 5-7kg sollte das maximal sein. Du wirst schnell merken, mit wie wenig du eigentlich auskommst.
Das Iphone brauchst du auf dem Camino nur zum Fotos machen, Kontakte abzuspeichern und für die App «Camino Ninja» die äusserst hilfreich ist. Dort kannst du sehen, was es auf den verschiedenen Streckabschnitte gibt. Es gibt beispielsweise Etappen, wo du an keinen Supermarkt und nur an sehr wenigen Restaurants vorbeikommst. Bei solchen Etappen musst du dich mit genügend Snacks und Getränke eindecken, bevor du diese antrittst.
Das waren die für mich wichtigsten 5 Dinge auf dem Camino:
Schuhe (Wander- oder Trekking-Schuhe, eingelaufen und nicht zu klein)
Socken (ohne Nähte und genug, um zu wechseln)
Blasenpflaster
Stock (wobei es auch ohne geht, aber fürs Gefühl ist das schon gut)
Camino Ninja App
Die Rute Santiago de Compostela – Muxía – Finisterre in 4 Tagen (120km)
Anders als die anderen Caminos endet der Camino de Finisterre nicht in Santiago de Compostela sondern beginnt dort. Diesem Weg wird viel Symbolik zugeschrieben, da Finisterre bis zur Entdeckung Amerikas als «Abgrund» bzw. letzter Punkt der westlich existierenden Welt galt. Ich fand es besonders, an dem Ort sein Abenteuer zu starten, wo die meisten Leute ihren Camino beenden. Santiago de Compostela ist mit vielen Emotionen aufgeladen – man sieht Menschen weinen, wenn sie die Kathedrale auf der Praza do Obradoiro erblicken, Menschen die einander um den Hals fallen, für Gruppenfotos posieren und auch solche die beten. Aber vor allem sind es diese Momente der Freude und des Glücks, welche man beobachten kann, die einem erahnen lassen, dass der Camino eine besondere Erfahrung ist.
Kathedrale von Santiago de Compostela
Ich hatte tatsächlich Mühe den Weg aus der Stadt Santiago de Compostela bzw. die erste Muschel zu finden, da man in Santiago selbst keine genauen Wegbeschreibungen findet. Wenn man die erste Kennzeichnung aber gefunden hat, ist alles ganz einfach und man folgt den flechas amarillas, d.h. den gelben Pfeilen (Randnotiz: Also eigentlich ist es einfach, denn mir ist es tatsächlich passiert, dass ich, vor lauter quatschen mit meiner ersten Camino Begleiterin, den zweiten Wegweiser verpasst habe und so einen Umweg von ca. 30min gemacht habe). Die meisten Peregrinos gehen auf der ersten Etappe des Caminos de Finisterre bis Negreira, das sind insgesamt 20km. Ich habe meine Unterkunft 8km weiter als Negreira gebucht, nämlich in A Pena und verbrachte die erste Nacht in der dortigen Albergue die direkt am Camino liegt. Das Highlight der ersten Etappe war auf jeden Fall die Ponte Maceira, ein Dörfchen mit Brücke, das sich selbst eines der schönsten Pueblos de España nennt.
Ponte Maceira
Die zweite Etappe führte mich von Negreira bis O Logoso, wo ich die zweite Albergue auf meinem Camino gebucht habe. Dieser Weg zog sich besonders in die Länge, da es nicht viele Cafés oder Restaurants gab. Ich war auch froh, habe ich am Tag davor in Negreira ein paar Früchte und Snacks eingekauft, weil es auf der zweiten Etappe auch kaum mehr Einkaufsmöglichkeiten gab. Da die zweite Etappe weniger Highlights bot wie die erste, war ich froh um meine zwei italienischen Reisebegleiterinnen, welche ich noch am Tag davor in der Albergue kennengelernt hatte. Wir hatten gute Gespräche und schafften es dann gemeinsam ans Ziel der zweiten Etappe. Der dritte Tag, wo mich mein Camino bis nach Muxía führte, war für mich der schwierigste. Ich habe am Abend davor festgestellt, dass sich doch ein paar Blasen gebildet hatten und am nächsten Morgen waren diese so gross, wie ich es noch nie in meinem Leben gesehen hatte. Die letzten Kilometer bis ans Meer und Muxía musste ich ohne meine Schuhe gehen, weil es einfach nicht mehr ging. Genau dann bekam ich viel Unterstützung auch von Einheimischen, die mir Mut zusprachen. Eine Besonderheit des Camino ist es, festzustellen, zu was der eigene Körper fähig ist. Fix und fertig kommt man abends in seiner Unterkunft an, mit schmerzenden Füssen und Beinen und dem Gefühl, dass man keinen weiteren Schritt mehr machen kann. Und am nächsten Tag steht man auf und geht weitere 30km.
Auf dem Weg nach Muxía
Kaum angekommen in Muxía, wo ich einfach nur in mein Bett fallen wollte, überredete mich der Besitzer der dortigen Albergue, mit ihm, ein paar anderen Peregrinos und seinen Freunden im Städtchen Abend zu essen. Also gingen wir nochmals los und verbrachten den Abend mit lokalen Spezialitäten und leider etwas zu viel Wein im schönen Städtchen Muxía. Die vierte und letzte Etappe absolvierte ich mit immer noch schmerzenden Füssen, einem leichten Kater und Schlafentzug. Aber irgendwie habe ich auch diese Etappe geschafft. Die Ankunft in Finisterra war eine grosse Erleichterung und die letzten 2km bis zum Leuchtturm habe ich mir dann doch noch ein Taxi gegönnt (ich bin aber den Weg zurück zu Fuss gegangen, weshalb das mir zu verzeihen ist...). Genau wie in Santiago de Compostela spürte ich in Finisterre einen ganz besonderen Vibe. Am Abend wenn es dunkel wird begeben sich die Pilgerer auf ihre letzten paar hundert Meter, um gemeinsam auf dem Kap und dem Ende der Welt den Sonnenuntergang zu geniessen, der unter Applaus der Zuschauer begleitet wird. Eine ganz besondere Freude erfuhr mich als ich einen jungen Peregrino sah, den ich ein paar Wochen davor in León kennengelernt habe und der mir von seinen psychischen Problemen erzählte, die Auslöser für seinen Camino waren. Er schien zufrieden und sah sich den Sonnenuntergang mit ein paar anderen jüngeren Pilgerern an. Der Camino de Finisterre war für mich ein tolles Erlebnis und hat ihn mir die Lust geweckt noch weitere und längere Caminos zu gehen.
Sonnenuntergung am Kap de Finisterre